Neurodermitis gehört zu den häufigen Erkrankungen in Deutschland, sie betrifft alle Altersgruppen, tritt aber vorwiegend im Kindesalter auf. Patientinnen und Patienten leiden unter chronisch trockener, eingerissener und entzündeter Haut und intensivem Juckreiz sowie Schmerzen. Neurodermitis schränkt die Lebensqualität stark ein. Die Therapie kann komplex und schwierig sein. Je besser die Betroffenen über ihre Erkrankung informiert sind, desto erfolgversprechender ist die Behandlung. Strukturierte Schulungsprogramme sollten unverzichtbarer Teil der Therapie sein. Darauf wiesen die Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) und der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) anlässlich des Welt-Neurodermitis-Tags am 14. September 2021 hin.
Neurodermitis, auch unter dem Begriff atopische Dermatitis (AD) bekannt, ist eine der häufigsten entzündlichen Hauterkrankungen. Betroffen sind hierzulande etwa 13 Prozent der Kinder und zwei bis drei Prozent der Erwachsenen. Gerötete und entzündete Stellen treten meist an Arm- und Kniebeugen, am Nacken und den Händen auf. „Begleitet werden diese Symptome häufig von quälendem Juckreiz an den betroffenen Stellen, was zum Kratzen „verführt“, und die Stellen erneut belastet, da bestimmte Haut-Bakterien, z. B. Staphylococcus aureus, die Entzündungsreaktion an der Haut verstärkt“, erläutert Dr. med. Ralph von Kiedrowski, Präsident des Berufsverbands der Deutschen Dermatologen (BVDD) und niedergelassener Dermatologe in Selters. Juckreiz-bedingt kann es zu Schlafstörungen kommen, die zusätzlich die Lebensqualität beeinträchtigen.
„Neben der Arzneimitteltherapie, die aus äußerlich anwendbaren Therapeutika wie auch systemisch wirksamen Medikamenten besteht, ist es wichtig, dass Auslösefaktoren aufgespürt werden, Begleiterkrankungen mitbehandelt und die Betroffenen und Angehörige gut über die Erkrankung informiert sind“, erläutert Professor Dr. med. Michael Hertl, Präsident der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) und Direktor der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Universitätsklinikum Marburg. Zur Therapie sollten daher auch strukturierte Schulungsprogramme gehören. „Aus gut kontrollierten Studien wissen wir, dass Menschen mit Neurodermitis und ihre Familien sehr von standardisierten Schulungen profitieren“, so Hertl. Durch Schulungen lasse sich die Lebensqualität der Betroffenen erhöhen.Â
Zwei Programme haben sich in der Praxis bewährt: „AGNES“ wurde von der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung e. V. speziell für Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern entwickelt, „ARNE“ – von der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung für Erwachsene – ist auf Erwachsene mit Neurodermitis zugeschnitten. Für Professor Dr. med. Thomas Werfel, DDG-Vorstandsmitglied und Leiter der Forschungsabteilung Immundermatologie und experimentelle Allergologie der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Hannover, ermöglichen die Schulungen das, was oft im Behandlungsalltag zu kurz kommt: Die intensive Auseinandersetzung mit der Erkrankung. „In den Schulungen wird über mögliche Auslösefaktoren wie beispielsweise bestimmte Kleidung (z. B. Wolle), über Nahrungsmittelallergien oder bakterielle Hautinfektionen gesprochen. Bewältigungsstrategien werden erlernt, um die psychischen Belastungsfaktoren zu verringern“, betont Werfel. Zu solchen Strategien können Entspannungstechniken wie Qi Gong oder Autogenes Training gehören. Manchmal sind es aber auch einfache Tipps, um zum Beispiel den Teufelskreis aus Juckreiz-Kratzen-Hautentzündung-Juckreiz zu durchbrechen: Die juckende Stelle meiden und an einer anderen, nicht betroffenen Stelle zwicken oder drücken – so lautet die Empfehlung.Â
Bei den erwachsenen Menschen mit Neurodermitis kommen weitere Schulungsinhalte hinzu: Zum einen sind dies Informationen zu Therapiemöglichkeiten im Erwachsenenalter wie beispielsweise die Phototherapie oder bestimmte systemische immunmodulierende Therapien. Zum anderen werden sozialmedizinische Aspekte wie Rehabilitationsmöglichkeiten oder berufsbedingte Risikofaktoren besprochen. „Studienergebnisse zeigen, dass sich der Hautzustand auch dann signifikant verbesserte, wenn ein langjähriger, chronischer Krankheitsverlauf vorlag“, betont Werfel.Â
Geschult wird in Kleingruppen mit sechs bis acht Betroffenen bzw. Familienmitgliedern. Die Teilnehmenden erhalten in sechs je zweistündigen Sitzungen medizinisches Grundlagenwissen, Informationen zu aktuellen Behandlungsmöglichkeiten und Tipps für die tägliche Hautpflege. Angeboten werden diese standardisierten Schulungen durch ein interdisziplinäres Team von speziell qualifizierten Ärztinnen und Ärzten, sowie Fachkräften aus dem Bereich Psychologie, der Kinderkrankenpflege sowie dem Bereich Ernährung. Die Ausbildung ist zertifiziert und wird in Schulungszentren der AGNES e. V. angeboten. „Schulungen sind ein zentraler Baustein der Neurodermitisbehandlung. Sie werden daher ausdrücklich in der S2k-Leitlinie Neurodermitis im ambulanten Setting oder im Rahmen einer stationären Rehabilitation empfohlen“, sagt Werfel. Unter www.neurodermitisschulung.de finden sich nähere Infos zu Train-the-Trainer-Kursen und zertifizierten Teams in Deutschland.Â
In der Regel übernehmen gesetzliche Krankenkassen die Kosten für die Schulung. „Um an einer Schulung teilnehmen zu können, muss die Diagnose einer Neurodermitis ärztlicherseits bestätigt worden sein und die Neurodermitis einen gewissen Schweregrad haben, der über den SCORAD Wert (Scoring Atopic Dermatitis) erfasst wird“, erläutert Dr. med. Annice Heratizadeh, 1. Vorsitzende der bundesweiten AGNES e. V. und Oberärztin der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dieser Score erfasst gleichermaßen subjektive Symptome (wie Juckreiz und Schlafstörungen) und objektive Zeichen (wie betroffene Körperoberfläche und Ausprägungsgrad der krankhaften Hautveränderungen).Â
Quelle :Berufsverband der Deutschen Dermatologen e. V. (BVDD)
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