Von "Provokationstherapien" halten wir nichts. Auch spezielle Diäten sind - besonders für Kleinkinder - wirklich gefährlich. Manchmal, wenn man als Eltern die Vermutung hat, dass ein bestimmtes Nahrungsmittel vielleicht zu einer Verschlechterung das Hautzustands geführt haben könnte, sollten Sie das mit einem Hautfacharzt besprechen und gemeinsam überlegen, was zu tun ist.
Dr. Philippa Golling
Pendeln ist keine wissenschaftliche Untersuchungstechnik. Ein Zusammenhang zwischen Nahrungsmitteln und dem Hautzustand bei Neurodermitis ist zwar möglich, ein generelles Meiden bestimmter Nahrungsmittel ist jedoch nicht sinnvoll und das Auspendeln von Nahrungsmitteln mit anschließendem Meidungsverhalten ist rational nicht nachvollziehbar. Eine Einschränkung der Nahrungszufuhr bei einem Kleinkind ohne vernünftige Grundlage ist eine Mangelernährung, die dem Kind schaden kann.
Dr. Uwe Schwichtenberg
Bevor ich Ihre Fragen beantworte möchte ich etwas zur Neurodermitis und zum Beriglobin TM schreiben:
I. Die Neurodermitis ist solch eine komplexe Erkrankung. Wir wissen noch nicht genug über die Entstehung, aber wahrscheinlich ist es ein Zusammenspiel aus erblicher Veranlagung, verschiedenen Umwelteinflüssen und einer Überreaktion des Immunsystems. Das Immunsystem ist also eher zu aktiv. Bewährte Neurodermitis-Medikamente wie z.B. die große Gruppe der Glukokortikoide (= Kortisonpräparate) und auch die neueren, kortisonfreien Medikamente (Wirkstoffe Pimecrolimus und Tacrolimus) sind Immunsuppressiva, also "Immununterdrücker".
II. Beriglobin TM enthält bestimmtes menschliches Eiweiß (= Protein), das zu 95% aus Immunglobulinen (= Immunkörpern) besteht. Beriglobin TM ist u.a. zugelassen zur Behandlung von ganz bestimmten Immunmangelzuständen. Beriglobin TM ist also ein "Immunaufbauer".
Nun zu Ihrer ersten Frage: Nein, wir haben noch nichts davon gehört, dass Neurodermitis (erfolgreich) mit Beriglobin TM behandelt werden könnte. Von der Pharmafirma Aventis Behring, die Beriglobin herstellt, habe ich heute erfahren können, dass es keine Untersuchung, Studie oder Veröffentlichung zur Therapie von Neurodermitis mit Beriglobin gibt.
Zu Ihrer zweiten Frage: Nein, die Kosten eines Behandlungsversuchs der Neurodermitis mit Beriglobin würden die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland heute (August 2004) nicht übernehmen.
Dr. Philippa Golling
Ich bin Schulmedizinerin und schöpfe erst alle Möglichkeiten der evidenzbasierten Medizin in meinen Behandlungsstrategien aus. Wenn ein Patient mich nach alternativen Heilmethoden fragt, sage ich, falls es sich nicht um sehr teure oder vielleicht schädliche Behandlungsmethoden handelt, dass es einen Versuch wert ist. Aloe Vera scheint nach Erfahrungsberichten (nicht in der evidenzbasierten Medizin) zu so einer alternativen Behandlungsmethode zu gehören, die einen Versuch wert wäre. Die Pflanze soll antientzündlich wirken, und könnte sich damit auf eine entzündliche Erkrankung positiv auswirken. Dennoch möchte ich betonen, dass zuerst die bewährten Methoden angewendet werden müssen, wie eine antientzündliche Therapie mit cortisonhaltigen Cremes oder kortisonfreien Calcineurininhibitoren wie Pimecrolimus und eine Erhaltungstherapie mit rückfettenden Salben.
Dr. Martina Moderer
Es ist vollkommen verständlich, dass "man ohne Neurodermitis leben möchte" und sie deshalb gern auf einer wissenschaftlichen Seite zur Neurodermitis hören wollen würden, dass es eine einfache Methode zur vollständigen Heilung der Neurodermitis gäbe. Leider befinden Sie sich aber in einem durchaus tragischen Irrtum darüber, dass dies in der Realität der Fall sei. Wenn Sie Neurodermitis als rote Flecken auf der Haut definieren, dann ist Neurodermitis heilbar, aber sie kann wieder auftreten, es gibt keinen ewigen Schutz davor. Wenn Sie Neurodermitis als die Bereitschaft definieren, immer wieder einmal rote Flecken zu bekommen, dann ist Neurodermitis nicht heilbar und das schon allein aus philosophischen Erwägungen heraus. Wie wollen Sie denn wissen, ob nicht jemand in 2 Jahren doch wieder rote Flecken bekommt? Andererseits leidet man überhaupt nicht unter der Bereitschaft, rote Flecken zu bekommen, sondern nur unter den roten Flecken, wenn sie da sind.
Ich stelle die Hypothese auf, dass bei Definition 1 sowohl jeder normale Hautarzt (eine gewisse Mitarbeit des Patienten vorausgesetzt) als auch das sogenannte Gelsenkirchener Behandlungsverfahren als auch viele andere Verfahren als auch "Kortisoncreme" Neurodermitis heilen können, wohingegen bei Definition 2 keine der Methoden dies vermag. Wenn Sie mir alle wesentlichen Unterschiede des so genannten Gelsenkirchener Behandlungsverfahrens zusammenstellen und mir dann beweisen, dass das "andere" am so genannten Gelsenkirchener Behandlungsverfahren signifikant besser ist als eine etablierte Behandlungsform, will ich sie gern erwähnen.
Bis dahin gilt: Wer immer mit einer Hypothese wissenschaftlich ernst genommen werden will, muß diese belegen können. Die Hypothese, dass Neurdermitis aus einem Gefühl von Trennung heraus entstehen soll, ist jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die gegenwärtig beste Hypothese zur Neurodermitis geht von einer fehlgeleiteten Immunantwort aus, ohne im Vorfeld für jeden Neurodermitiker einen Trennungsschmerz vorauszusetzen. Die Behandlungen, die wiederholbar und voraussagbar unter kontrollierten Bedingungen Neurodermitis bessern können, werden von den wissenschaftlich orientierten Hautärzten in ihr Behandlungsrepertoire übernommen. Wenn irgend jemand wüsste, wie man jede Neurodermitis dauerhaft heilt, hätte er recht wahrscheinlich schon den Nobelpreis und wäre Millionär, ziemlich sicher hätte ich aber schon davon gehört - das habe ich nicht.
Verstehen Sie mich aber bitte nicht falsch - all dies soll nicht sagen, dass sich eine Neurodermitis unter dem so genannte Gelsenkirchener Behandlungsverfahren nicht bessern könnte. Ich hinterfrage nur kritisch den Anspruch, die Erkrankung besser "heilen" zu können als eine wissenschaftlich orientierte Standardtherapie.
PD Dr. Andreas Wollenberg
Ihre Frage ist nicht einfach zu beantworten, da das sogenannte Gelsenkirchener Behandlungsverfahren eine Zusammenstellung zahlreicher Ansatzpunkte, teils konkreter Handlungsanweisungen und teils ziemlich theoretischer Erklärungsansätze ist, die nicht zwangsläufig zusammengehören oder sich logisch aufbauend aus einer einzigen Grundannahme ergeben. Daher muß man, wenn man diese komplexe Zusammenstellung wissenschaftlich exakt und zugleich menschlich redlich einem gutgläubigen Patienten gegenüber kommentieren soll, sie in alle Einzelaussagen zerlegen und dann kommentieren. Dies würde den Rahmen einer Stellungnahme in diesem Expertenratforum weit übersteigen.
So ist beispielweise die Behauptung, dass äußere Faktoren wie Baden in chlorhaltigem Wasser oder jareszeitliche Einflüsse wie der Pollenflug bei nicht wenigen Patienten die Erkrankung wiederholbar und voraussagbar verschlechtern werden, klinisch-wissenschaftlich gut belegt. Andererseits ist beispielweise die Behauptung, dass Neurodermitis nicht genetisch bedingt sei, klinisch-wissenschaftlich unhaltbar. Auch steht beispielsweise der lange bekannte und zunehmend verstandene immunologische Anteil der Neurodermitis nicht im Gegensatz zu einer genetisch fixierten Veranlagung, eine Neurodermitis zu entwickeln.
Wer immer mit einer neuen Hypothese wissenschaftlich ernst genommen werden will, muß diese belegen können. Die Hypothese, dass Neurdermitis aus einem Gefühl von Trennung heraus entstehen soll, ist jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die gegenwärtig beste Hypothese zur Neurodermitis geht von einer fehlgeleiteten Immunantwort aus, ohne im Vorfeld für jeden Neurodermitiker einen Trennungsschmerz vorauszusetzen.
Es gibt zahlreiche Therapievorschläge für Neurodermitis, von denen nicht wenige auf Naturheilbasis oder anderen teils philosophisch oder religiös geprägten Gedankengebäuden beruhen. Der Teil dieser Behandlungen, die wiederholbar und voraussagbar unter kontrollierten Bedingungen Neurodermitis bessern können, ist von den wissenschaftlich orientierten Hautärzten in ihr Behandlungsrepertoire übernommen worden. Ich empfehle Ihnen, sich einen Hautarzt ihres Vertrauens in der Nähe zu ihrem Wohnort zu suchen und mit diesem ein Behandlungskonzept zu erstellen, dass Ihnen längerfristig den Umgang mit dieser Erkrankung erleichtert.
PD Dr. Andreas Wollenberg
Leider konnte ich, auch nach intensiver Literaturrecherche, nur sehr wenig über die sogenannte "Enzym Potenzierte Desensibilisierung" herausfinden. In der medizinischen Fachliteratur fand sich keine Veröffentlichung zu dieser speziellen Therapie. Dies bedeutet, dass das Verfahren keine in der Schulmedizin etablierte Therapie ist, und bevor keine evidenzbasierten Daten vorliegen, sollte sie auch mit Zurückhaltung gehandhabt werden.
Dr. Martina Moderer
Der Nutzen von Büffelmilch für Neurodermitiker ist wissenschaftlich nicht etabliert. Weil es viele Unterschiede in der Zusammensetzung der Eiweiße in der Milch zwischen den verschiedenen Tierarten gibt, könnte die Vermeidung von Kuhmilcheiweiß in der Nahrung und Ersatz durch Ziegen- oder auch Büffelmilch bei einem kuhmilchallergischen Neurodermitiker im Einzelfall Sinn machen. Eine besondere Heilwirkung von Büffelmilch auf Neurodermitis ist jedenfalls nicht etabliert.
PD Dr. Andreas Wollenberg
Redimune® ist ein humanes Immunglobulin, das hauptsächlich bei Immundefizienzsyndromen (z.B. Kawasaki-Syndrom, HIV Infektion) angewendet wird. Immunglobuline sind Antikörper, die beispielsweise bei der Abwehr eines grippalen Infektes vom Körper selbst gebildet werden, und so gegen das Grippevirus ankämpfen. Immundefiziente Menschen bilden zu wenige dieser Antikörper. Deshalb ist eine Gabe dieser Antikörper sinnvoll, damit sich diese Menschen gegen z.B. virale Infekte wehren können. Es gibt verschiedene Fallberichte, die positiv über die Gabe von Immunglobulinen bei der Neurodermitis berichten. Einige wenige Studien haben jedoch gezeigt, dass die klassische topische Therapie mit Cremes und Salben einer systemischen Therapie mit Immunglobulinen überlegen ist. Ich empfehle eine ausführliche Allergiediagnostik beim Hautarzt und Allergologen, um mögliche Allergene zu identifizieren, und eine intensive klassische örtliche Cremetherapie mit antientzündlichen Wirkstoffen im Schub, und eine rückfettende Therapie im schubfreien Intervall.
Dr. Martina Moderer
Die sogenannte "Prager Salbe" ist eine Rezeptur aus Steinkohlenteer-Lösung, Stearinpalmitinsäure, Wollwachs, Kaliumcarbonat, Weizenstärke, Glycerin 85%, Menthol und Rosenöl. Einer der wirksamen Bestandteile ist der Steinkohlenteer, der in der Dermatologie früher als antientzündliche Komponente mit Erfolg eingesetzt wurde. Man weiß jedoch seit einiger Zeit, dass Steinkohlenteer und dessen Produkte kanzerogen wirken, und es deshalb von mir nicht rezeptiert oder empfohlen wird. Eine Abgabe der Salbe ist Apotheken für Kinder unter 13 Monaten sogar untersagt (§95 Abs. 1 Nr. 1 AMG (Arzneimittelgesetz)). Ein Hautarzt kann Ihnen jedoch alternative Therapievorschläge für die Haut Ihrer Tochter machen.
Dr. Martina Moderer